Die Abenddämmerung der gedruckten Zeitung

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Die Abenddämmerung der gedruckten Zeitung

Im Kontext der digitalen Medientransformation ist über die tiefgreifende, schon seit Jahren andauernde Krise gedruckter Medien schon jede Menge geschrieben, gesagt und teils auch getan worden. Allein: Eine grundsätzliche Wende aus der sich ständig verschlechternden Situation lässt auf sich warten. Bislang jedenfalls. Wir fassen wesentliche Erkenntnisse über die Ursachen und Folgen kurz zusammen und fokussieren auf ein Zukunftskonzept für ein erfolgreiches, digitales Morgen.

Die Situation heute

Über die vielfältigen Ursachen der zunehmend düsteren Abenddämmerung für Printmedien – vornehmlich Zeitungen, letztlich aber alle anderen auch – besteht landauf, landab weitgehende Einigkeit:

Der demografische Faktor. Für unter 45-Jährige haben Nachrichten auf Papier mit stetig steigendender Tendenz allenfalls den »Charme des Gestrigen«: Was da kommt ist nicht nur formal, auch inhaltlich alt und keineswegs mehr aktuell. Die Informationen entsprechen nicht annähernd den technischen Möglichkeiten und der Realzeit. Hinzu kommen ökologisch der unzeitgemäß verschwenderische Verbrauch an Ressourcen zur Herstellung des notwendigen Papiers (Zellulose, Wasser, Bleichmittel) und ökonomisch die hohen Kosten für Herstellung (Druck) und Distribution (Verteil- und Zustellungslogistik mit typischerweise prekären Arbeitsverhältnissen) – und das alles letztlich für ein kurzlebiges „Wegwerfprodukt“.

In der Konsequenz ist das Neukundengeschäft speziell für junge Zielgruppen, insbesondere für längerfristige Abonnenten, inzwischen nahezu völlig zum Erliegen gekommen. Diese abnehmende Reichweite besonders bei der werbewirksamen Zielgruppe der Jüngeren hat natürlich auch Konsequenzen für die Anzeigen in der gedruckten Zeitung. Der Anzeigenkunde der gedruckten Zeitung erhält zudem keine Rückkopplung über den Erfolg seiner Anzeigenschaltung und die  mit seiner Insertion faktisch erzielte Reichweite. Das Anzeigengeschäft ist deshalb, nach der Abwanderung der Rubrikenanzeigen (Auto, Immobilien, Stellen) in spezialisierte Onlineportale zu Beginn des Jahrtausends,  ebenfalls seit vielen Jahren stetig rückläufig.

Der gesellschaftliche Faktor. Die allgegenwärtige Mitwirkung des Lesers  bzw. Nutzers zumindest durch Bewertung und Kommentierung von publizierten Nachrichten gehört mittlerweile zum demokratischen Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Dem Erwartungshorizont einer »Kommunikation auf Augenhöhe« mit den publizierenden Journalisten entspricht die klassische Diktion eines Printmediums, bei der die Redaktion von oben herab, eindimensional die Leserschaft über ihre Sicht auf die Ereignisse aufklärt, immer weniger. Die Publikation ausgewählter Leserbriefe in der Zeitung – zumeist einige Tage nach Ablauf der Aktualität eines Ereignisses – noch weniger. Wobei natürlich auch „eine Kommunikation auf Augenhöhe“ die Grunderwartung der Leser bzw. Nutzer an ein Medium nach Information und Orientierung durch fachkundige Einordnung eben dieser Informationen gemäß einem akzeptierten Wertekanon bedienen muss.

Der wirtschaftliche Faktor. Eine kleinteilige und flächendeckende Berichterstattung im Verbreitungsgebiet einer Zeitung ist ohne einen Einbezug aktiver und engagierter Nutzer gerade im lokalen Breitensport, in der lokalen Kultur und der Eventberichterstattung kaum mehr wirtschaftlich möglich. Damit droht der Zeitung eine ihrer Kernkompetenzen, die Übersicht und Einordnung alles jeweils relevanten lokalen und regionalen Geschehens, zu entgleiten. Ein  Einbezug aktiver Bürger in die aktuelle Berichterstattung erfordert aber eine Strukturierung und Digitalisierung der Reportage- und Redaktionsprozesse, die zumeist über die Gegebenheiten der heutigen Redaktionsorganisation und  der verwendeten Redaktionssysteme hinausgeht. Deshalb zögern die Verlage, was wiederum der Attraktivität der Produkte deutlich abträglich ist.

Die derzeit favorisierte Vorgehensweise, die bestehenden Inhalte der Zeitung zusätzlich kostenfrei – oder zunehmend hinter einer Zahlschranke »paywall« – im Netz zugänglich zu machen, ist deshalb nicht mehr als eine Teillösung, weil sie höchstens eines von drei bestehenden Problemen löst. Sie wird die Abenddämmerung für Print bestenfalls verlängern. Eine Lösung, die begründete Hoffnung auf ein profitables digitales Morgen macht, muss aber alle drei beschriebenen Hauptgründe des Niedergangs nachhaltig abstellen.

Ein Konzept für das digitale Morgen

Die digitale Medientransformation der Zeitung
© Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting, Ingo Bartussek, goodluz / Fotolia.com

Eine »Zeitung für morgen« wird sich durch eine konsequente Umsetzung der folgenden zehn Grundprinzipien auszeichnen müssen:

  1. Sie ist im Prinzip ein mehr und mehr rein digitales Medium, das mittel- bis langfristig nur noch übergangsweise in abnehmender Größenordnung gedruckt angeboten wird. Typischerweise nur noch am Wochenende oder zu besonderen Anlässen, bei denen eine spezifische Muße des Lesers vorausgesetzt werden darf. Zudem stehen für die gedruckte Ausgabe die eher über den Tag hinausreichenden, bewertenden und Orientierung gebenden Beiträge im Vordergrund.
  2. Die »Zeitung für morgen« ist durchgängig auf eine mobile Nutzung (auf Smartphones, Tablet, Smartwatches) hin optimiert und wird digital über eine »App« ausgeliefert. Den Markenkern dieser App bildet ein Informationsbündel aus Nachrichten in Echtzeit, Kommentaren, Veranstaltungshinweisen und kommerziellen Angeboten, die vom Anspruch her alles Relevante und Wichtige in  ihrem „Zielgebiet“ abbildet. „Zielgebiet“ ist dabei jenes geografische, aber auch thematische und / oder durch einen gemeinsamen Wertekanon definierte Gebiet, in dem die Nutzer der App angesprochen und erwartet werden.
  3. Nicht nur technisch passt sich die Darstellungsform der Informationen dem jeweils verwendeten Endgerät konsequent an (»responsive design«). Die begrenzte Größe der Darstellungsfläche bei einem smartphone und insbesondere einer smartwatch erfordern über die Gestaltung der Darstellung eine zunehmende, gerätespezifische Inhaltsverdichtung (»responsive content«), bis hin zu einem einzigen kurzen Satz bzw. einem einzigen charakteristischen Bild. Die »Zeitung für morgen« kennt zudem den jeweiligen aktuellen Aufenthaltsort des Nutzers und weiss, welche Informationsangebote ihn an diesem Wochentag, zu dieser Zeit und an diesem Ort typischerweise interessieren (»ambient intelligence«). All dieses Umgebungs- und Nutzerwissen wird für die Präsentation (Auswahl, Reihenfolge, Detailumfang) der Informationsangebote durch die App berücksichtigt. Entsprechende mitgelieferte Metadaten der einzelnen Nachrichten, Veranstaltungsangebote, kommerzielle Angebote wie thematische Ressorts, Geokodierung, Öffnungszeiten dienen dazu, eine  spezifische Auswahl aus dem Informationsangebot für den jeweiligen Nutzer zu treffen.
  4. Ein wesentliches Element der Berichterstattung sind auch Beiträge aktiver Nutzer der App, insbesondere in den Bereichen des Lokalsportes, der lokalen Kulturereignisse und Veranstaltungen. Dies ist mit einem in die App integrierten mobilen Reportagewerkzeug möglich, das ein schnelles Verfassen und Upload strukturierter und multimedialer Beiträge ermöglicht. Durch innovative Qualitätssicherungsverfahren wird gewährleistet, dass die Struktur dieser Berichte üblichen Standards entspricht (wann?, wo? , was ist passiert? , … )  und stets nur Augenzeugen eines Ereignisses über dieses berichten oder Berichte anderer Augenzeugen gemäß dem Wikipedia Prinzip überarbeiten und ergänzen können.
  5. Weiter erlaubt das speziell entwickelte Qualitätssicherungsverfahren – aufgrund der erhobenen Metadaten –  Beiträge zu demselben Ereignis automatisch zu erkennen, geeignet zu aggregieren und so Doubletten in der Berichterstattung zu vermeiden. So können etwa Text, Fotostrecken und Videos von unterschiedlichen Beitragenden zu einem gemeinsamen Artikel zusammengeführt werden. Und dieser Artikel aus dem Archiv um relevantes, historisches Hintergrundmaterial zum gleichen Ort des Geschehens automatisch angereichert werden.
  6. Alle Beiträge in dem digitalen Medium können von den Nutzern bewertet und – soweit verantwortbar – ergänzend kommentiert werden. Die Bewertung redaktioneller Beiträge durch die Nutzer wird auch dazu verwendet, bevorzugt solche Beitragende für ein Ereignis auszuwählen und proaktiv um eine Berichterstattung zu bitten, deren bisherige Beiträge von der Mehrzahl der  Nutzer besonders positiv bewertet wurden oder die sich aktuell in der Nähe des Ereignisses befinden. Die entsprechenden Steuerungsmechanismen für die Redaktion stellen die Infrastruktur- und Serverkomponenten für die App bereit.
  7. Wesentliche Metadaten von Informationsangeboten schließen neben i) dem thematischen Ressort eines Angebotes, ii)  die Geokodierung des Ortes des Geschehens und iii) die Veranstaltungs-, Öffnungszeiten von Events und kommerziellen Angeboten ein.  Mit der vorhandenen Georeferenzierung können sämtliche Informationsangebote alternativ zu einer thematischen Gruppierung immer auch in ihrem geografischen Kontext in einem Kartenausschnitt dargestellt werden. Der Nutzer kann angebotene Informationen nicht nur nach den üblichen thematischen Kriterien (Sport, Wirtschaft, Politik, … ) auswählen, sondern zusätzlich nach zeitlich/geografischen Kriterien ( z.B. nur Nachrichten aus dem Wohnort aus den letzten 24 Stunden, nur kommerzielle Angebote in max. 15 km um die tägliche Fahrtstrecke,  usw. ). Die App kann dazu das dort lokal gespeicherte Bewegungsprofil des Nutzers aus der letzten Zeit verwenden.
  8. Aktuell verfügbare, d.h. geöffnete kommerzielle Angebote und bevorstehende Veranstaltungen in der Nähe des jeweiligen Aufenthaltsortes können entsprechend bevorzugt in der App mit Anzeigen beworben werden, wenn sie dem Interessenprofil des Nutzer entsprechen. Bei der bevorzugten Bewerbung durch Vollformatanzeigen werden weitere Kontextinformationen hinzugezogen, etwa über die aktuelle Bewegungsgeschwindigkeit des Nutzers oder Art und Ort der in der Vergangenheit von ihm besuchten Veranstaltungen.
  9. Anzeigen werden vom Anzeigenkunden online selbst gebucht und typischerweise selbst gestaltet. Dazu steht ein einfaches Repertoire an Mustervorlagen zur Verfügung. Etwa ein »Karussell«, bei dem in jedem Karusselelement jeweils ein Produkt oder eine Dienstleistung beworben wird, eine »Pinnwand« mit den Produkten, … . Anzeigen können während ihres gesamten Schaltzeitraums inhaltlich vom Anzeigenkunden jederzeit selbst geändert, aktualisiert werden. Der Anzeigenkunde kann während des Schaltzeitraums seiner Anzeige jederzeit auf eine Auswertung zurückgreifen, die die bisher erfolgte Nutzung seiner Anzeigen anonymisiert wiedergibt: wann wurden sie genutzt, wo, wie lange? Darüber hinaus wird dem Anzeigenkunden zugänglich gemacht, für welche anderen Angebote sich der typische Interessent seiner Anzeige sonst noch interessiert.
  10. Über den Inhaltsbereich hinaus kann der Anbieter des digitalen Mediums vielfältige Premiumservices für seine Nutzer und Anzeigenkunden anbieten. Dazu gehören für Nutzer die unmittelbare Buchung von Reisen und Eintrittskarten zu Veranstaltungen ebenso wie der Verkauf der passenden Veranstaltungskleidung und Accessoires. Für den Anzeigenkunden können vermittels der App etwa Nutzer von kommerziellen Angebote identifiziert werden, die sich in einem definierten Zeitfenster mindestens mehrfach für einen gewissen Zeitraum an oder in einem Geschäftslokal bzw. Veranstaltungsort aufgehalten haben. Solchen „Stammkunden“ kann ein Anzeigenkunde dann bei einem erneuten Besuch vor Ort mit Hilfe der App entsprechende Bonusangebote unterbreiten.

Die »Zeitung für morgen« ist also ein höchst proaktives, digitales Medium, das über das dem Nutzer persönlich zugeordnete digitale Endgerät umfassende Kenntnisse über die Nutzung des Mediums und über das Umfeld der Nutzung selbsttätig erlernt und für ein individuelles Maßschneidern des Informationsangebotes nutzt.

Wesentliches Ziel ist es dabei, diese eine App in der kaum noch überschaubaren Unmenge aller App-Angebote erfolgreich so zu platzieren, dass sie zu den wenigen gehört, die in breiter Öffentlichkeit wahrgenommen und angenommen wird und publikumswirksam mit großer Reichweite die Menschen dauerhaft durch den Tag begleitet und regelmäßig genutzt wird. Dies setzt ein attraktives und möglichst umfassendes Informationsangebot voraus, das die persönlichen Lebensumfelder und Interessengebiete seiner Nutzer individuell abdeckt.

Jeder Tag, mit dem Medienunternehmen früher beginnen, einen entsprechenden Markenkern aufzubauen, zählt!

Der Weg in das digitale Morgen

Wir empfehlen, schon jetzt ein entsprechendes digitales Produkt, das die oben beschriebenen 10 Prinzipien konsequent umsetzt und sich inhaltlich insbesondere an junge Zielgruppen wendet, neben die bestehenden gedruckten Produkte zu stellen. So kann einerseits das digitale Produkt im Dialog mit seinen Nutzern ausgereift werden:  neue Inhaltsformate können entwickelt und auf ihre Erfolgswirksamkeit hin optimiert werden. Ein Prozess, der zweifelsohne Zeit benötigt.  Andererseits kann das noch bestehende Potenzial der gedruckten Produkte jetzt benutzt werden, um werbend auf das neue digitale Produkt hinzuweisen. Da beide Produktlinien – digitales und gedrucktes Produkt – im Kern jeweils altersmäßig unterschiedliche Zielgruppen der jüngeren und älteren Nutzer bzw. Leser adressieren, dürften eventuelle zu befürchtende Kannibalisierungseffekte verschwindend gering sein. Die sich verstärkenden Absichten von Facebook und Apple ( siehe geplante IOS 9 „News“ App), ebenfalls die jüngeren Nutzer in ihrer Systemwelt möglichst ganztägig zu binden, belegen, dass hier für die Verlage keinerlei Zeit zu verlieren ist.

Für den effizienten Weg zu einem digitalen Produkt haben wir einen konzeptionellen Lösungsbaukasten entwickelt, der die einzelnen Module für die Anwendung der beschriebenen Lösungsprinzipien auf redaktionelle und kommerzielle Angebote beinhaltet und eine schnelle und kosteneffiziente Realisierung und Umsetzung ermöglicht.

Der konzeptionelle Lösungsbaukasten zur digitalen Medientransformation
© Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting

Bei der Ausgestaltung der App und der Module des Lösungsbaukasten wurde ein besonderer Wert auf eine umfassende Berücksichtigung des Schutzes der Privatsphäre der Nutzer gelegt. Alle sensitiven Daten, insbesondere das durch die App erhobene Bewegungsprofil und das erlernte Interessenprofil, verbleiben ausschließlich lokal auf dem mobilen Endgerät und werden nicht auf entfernte Server übertragen und gespeichert, um eine missbräuchliche Verwendung dieser persönlichen Daten von vornherein auszuschließen.

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Ein Bild unseres Blog Autors Rainer Lutze und Michael Strzodka

Rainer Lutze und Michael Strzodka

Rainer Lutze ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting, die Verlage im Bereich der digitalen Medien berät. Michael Strzodka ist selbständiger Journalist und Zeitungsredakteur mit 30-jähriger Berufserfahrung, zuletzt als CvD und Mitglied der Chefredaktion der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund. Rainer Lutze und Michael Strzodka berichten hier regelmäßig über relevante Tendenzen und Entwicklungen zur Zukunft des Journalismus.

7 Gedanken zu „Die Abenddämmerung der gedruckten Zeitung“

  1. Die Analyse ist treffend, das Konzept vernünftig und vielversprechend. Warum findet sich bisher kein Verlag, der alles umsetzt? Die meisten Medienmacher gehen offenbar nicht mit der Zeit, sondern hängen an überkommenen Traditionen. Ich wünsche Euch, dass Ihr bald beweisen könnt, dass diese Art digitaler Zeitung eine Zukunft hat.

  2. Besonderen Dank an Thomas Borowski, dass er hier mit einem ersten Kommentar den Anfang macht.

    Und zur Sache: In der Tat – auch wir finden nach einer ganzen Reihe von Gesprächen mit führenden Verlagsvertretern in deutschen Zeitungshäusern das überwiegend unentschlossene Verhalten für eine entscheidende, wirklich grundsätzliche Antwort auf den massiven, digitalen und zunehmend mobilen Wandel – gelinde gesagt – ziemlich verwunderlich. Allenfalls wird – klein, klein – an bloßen Symptomen herumgedoktert. Der strategisch zukunftsgerichtete, große Wurf ist hierzulande in der ganze Branche leider nicht erkennbar.
    Doch die Zeit drängt. Denn Google, Facebook, Apple und Co. bewegen sich verdammt schnell und sind schon längst auf dem Weg, um bei uns Nachrichtenkanäle und Anzeigenmärkte vor allem auch lokal mit mobilen Angeboten maßgeblich für sich zu besetzen. Zusätzlich – ganz neu – setzt ein weiterer ernster Konkurrent zum Sprung über den großen Teich an: „Die amerikanische Plattform Nextdoor drängt nach Europa. Hier könnte sie aber das Geschäftsmodell lokaler Medien zerstören.“ So ist in diesen Tagen bei FAZ.NET zu lesen. (Link s.u.) Demnach plant das Nachbarschafts-Netzwerk nextdoor.com, das „in den Vereinigten Staaten exponentiell wächst​“ und dessen Wert „inzwischen auf mehr als eine Milliarde Dollar geschätzt​ wird“​​​, in „old europe“ einen ersten Brückenkopf in den Niederlanden.​ Und wie FAZ.NET weiter schreibt: „Das mittelfristige Potential würde bei der Entwicklung zur lokalen​ ​Nachrichtenseite liegen – und dann zum Lokalmedium der Zukunft.​ ​Damit könnte dann auch die​ ​Werbegeldmaschine angeworfen werfen.​ ​Mit Kleinanzeigen wie bei Google, die über Algorithmen auf den​ ​jeweiligen Nutzer zugeschnitten sind​.“

    FAZ-Wirtschaft vom 17.8.2015: Nachbarschaftshilfe als Internetgeschäft

  3. Eine App, die für beinah jedes Medienhaus einen riesigen Schritt nach vorn bedeuten würde. Viele Verlage haben Einzelelemente bereits umgesetzt – jedoch nicht in dieser Kombination und mit dieser Radikalität. Dazu fehlten dann häufig doch die Stragegie und der Mut, dem Verschwinden der „Holzmedien“ ins Auge zu blicken,

    Skeptisch bin ich allerdings in punkto Lesereinbindung. Ja, einige/viele Leser wollen unter Online-Text Dampf ablassen, zustimmen oder (auch gerne) andere Leser belehren. Überprüfbare Fakten zu lesbaren Texten zusammenfügen und sich dabei noch von anderen Lesern bewerten lassen – das wollen sie allerdings sicher nicht. Das Web 2.0 ist (noch) eine Minderheitenangelegenheit geblieben – leider.
    Das Feedback der User und der Dialog mit ihnen kann allerdings nichts wichtig genug genommen werden, da gehe ich ganz d’accord. Ich fürchte aber (und hoffe irgendwie auch), dass wir auch in Zukunft um professionelle Journalisten in den Kommunen und Kreisen nicht herumkommen.

    1. Der grundsätzlich zustimmende Beitrag von Katrin Pinetzki freut uns sehr. Danke!
      Fast schon zu viel des Lobes. Denn natürlich: Unser Konzept hat hier und da doch noch Ecken und Kanten, obwohl wir es selbstkritisch in sorgfältiger Detailarbeit schon mehrfach fein geschliffen haben. Schließlich handelt es sich um ein äußerst komplexes Konstrukt für ein komplett neues Medium. Deshalb stellen wir es hier ja auch ganz bewusst dem geneigten Fachpublikum offen zur Diskussion und hoffen durch kompetente Stimmen auf verwertbare Hinweise für weitere Verbesserungen im gemeinsamen Interesse.

      Was die Skepsis von Katrin Pinetzki zur Leserbeteiligung betrifft, sehe ich mit unserem Konzept und seinen spezifischen Leistungsmerkmalen – systemtechnisch gestützt auf eine Reihe spezieller Eigenentwicklungen – selbst bei vorsichtiger Betrachtungsweise eher Chancen als Risiken. Das gilt nicht allein für die gesellschaftliche Kommunikation und demokratische Informations- und Meinungsvielfalt vor allem kleinteilig in zunehmend vernachlässigten lokalen Räumen, sondern auch für die ebenfalls von Katrin Pinetzki angesprochene Zukunft des Journalistenberufs mit merklich schrumpfendem Arbeitsmarkt zumindest bei Print. Denn unser Nachrichtennetzwerk versteht sich nicht in Konkurrenz sondern komplementär zum professionellen Journalismus. So kann es – richtig eingesetzt – durchaus einen Beitrag leisten, die wirtschaftliche Basis von Verlagen mit einem zusätzlichen, zeitgemäßen Produkt und Geschäftsmodell zu stabilisieren und damit unter anderem die redaktionellen Arbeitsplätze in klassischen Tätigkeitsfeldern zu sichern. Zudem: Wird unser Konzept mit allen Details praktisch voll wirksam, bestehen Aussichten auf absolut neue Beschäftigungschancen im redaktionellen Management des Nachrichtennetzwerks, das organisierend, koordinierend und moderierend im partnerschaftlichen Dialog vor allem mit aktiven Lesern und anderen Nachrichtenquellen journalistisch professionell die Kommunikationsabläufe verwalten und gestalten soll.

  4. Viele Zeitungsverlage sind Meister des Nicht-Erkennens ihrer unternehmerischen Chancen. Es wird mit Inhalten gearbeitet, die vielfach veredelt werden könnten, semantisch, mit Ortsbezug, mit Querverweisen. Die Technologien und Konzepte stehen seit Jahren bereit (Graphendatenbanken, Metadaten, GEO-Schnittstellen, Mikroformate uvm.).

    Große Trends vergangener Jahre könnten entspannt bewertet und verwertet werden, z.B. starke Personalisierung, Recommendation-Engines (Bayes-Bewertungen, automatische Klassifizierungen). Programmierschnittstellen könnten frei oder gegen Gebühr angeboten werden um so kostenlos den Ideenmarkt durch Dritte befeuern zu lassen (Zugang zu Artikelarchiven, Suchen, Statistiken).

    Aber auch dazu gehört Mut: Nicht alles outzusourcen, eigene Programmierer beschäftigen. Und nicht seine Metadaten mit dem nächsten Relaunch und neuer Software wegzuwerfen oder sein Heil in PDF-Exporten und dem Layout von vor 100 Jahren suchen („Blendle“ und andere Kioske).

    Ach ja: Der Roboterjournalismus steht ja auch noch vor der Tür. Hier wird man im Zweifelsfall so lange lästern, bis nur noch eine Rumpfredaktion die letzten für die Maschine tatsächlich nicht schreibbaren Texte produziert – falls die dann noch jemand lesen will.

    1. Der Beitrag von Bernd beschreibt treffend diverse Aspekte brach liegender Möglichkeiten die Geschäftslage in deutschen Verlagen zu verbessern. Wir begrüßen ihn auch als grundsätzliche Bestätigung unserer Überlegungen und Konzeptvorschläge als Lösungsbeitrag zur Zeitungskrise. Aber das Beharrungsvermögen in der Medienbranche ist groß, wie unsere bisherigen Erfahrungen aus vielen Einzelgesprächen mit führenden Verlagsvertretern immer wieder erstaunlich zeigen. Leider! Denn bekanntlich: Wer sich nicht bewegt, der wird bewegt.

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