Dr. Florian Gerster, Staatsminister a.D., Vorsitzender der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main e.v., eröffnet den 5. eHealth Kongress 2018 am 8.8. in Frankfurt

Dr. Florian Gerster, Vorsitzender der Initiative gesundheitswirtschaft rhein-main e.v., in der Eröffnungskeynote

5. eHealth Kongress in Frankfurt 2018

Die Digitalisierung im Fokus

Schwerpunkte beim 5. eHealth Kongress am 8.8.2018 in der IHK Frankfurt waren erfreulicherweise der Blick auf das Ganze und der Status der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Diskussionen der über 500 Teilnehmer des Kongresses waren geprägt durch die elektronische Patientenakte (ePA), die Telemedizin und speziell Videoconferencing / Videosprechstunde sowie den Stellenwert  von Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) in der digitalen Medizin der Zukunft. Ist KI tatsächlich die „Königsdisziplin“ der Digitalisierung, wie es ein Teilnehmer der initialen Podiumsdiskussion zum »Aufbruch in die digitale Zukunft« plakativ formulierte?

Elektronische Patientenakte (ePA)

Verbreitet bei Referenten des Kongresses und Teilnehmern war die Einschätzung, dass bisher höchstens eine „Pseudodigitalisierung“ im Krankenhaus erreicht ist. Wir stehen erst am Beginn des Marathons, der als Teil eines Triathlons der schwierigste ist, formulierte es Hessens Minister für Soziales und Integration, Stefan Grüttner, in seiner Keynote zur Eröffnung des 5. eHealth Kongresses. Eine effektive ePA muss mehr sein als ein Konvolut aus eingescannten analogen Arztbriefen und Befunden, ergänzt um eine Bilderflut von Röntgenbildern, CRT/MRT und Ultraschallbildern, und den Labordaten. Dem Arzt fehlt schlichtweg die Zeit, sich in ein solches, nicht standardisiertes Dokumentenchaos einer ePA einzuarbeiten. Dies wäre überdies verbunden mit dem sich stets vergrößernden Haftungsrisiko, als Arzt irgendein Element einer solchen digitalen Collection zu übersehen.

Der hessische Minister für Soziales und Integration, Stefan Grüttner, und der Vorsitzende des Tematikausschusses der Bundesärztekammer und Landesärztekammerpräsident Schleswig-Holstein, Dr. Franz-Joseph Bartmann, bei der Podiumsdiskussion auf dem 5. eHelath Kongress in Fankurt am 8.8.2018
Minister Stefan Grüttner dnd Landesärztekammerpräsident Schleswig-Holstein, Franz-Joseph Bartmann, bei der Podiumsdiskussion

Gefordert ist daher ein einheitlicher, strukturierter Aufbau der ePA, der die vorliegende Anamnese, Befundung und Therapie des Patienten schnell und eineindeutig erkennen lässt. Der im angloamerikanischen Raum entwickelte HL7 / FHIR Standard wird dazu auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die aktuellen technischen Ausprägungsformen der in Deutschland entstehenden ePAs, wie die zentrale Lösung der TKK (zusammen mit IBM), oder die dezentrale Lösung der AOK, treten hinter diese Grundanforderung des einheitlichen strukturierten Aufbaus erst mal zurück. Und natürlich muss die Präzision der ePA für den Arzt um eine geeignete und für den Patienten nachvollziehbare Verbalisierung seiner ePA Inhalte begleitet werden. Der Patient hat schließlich die Datenhoheit über alle Angaben in seiner ePA. Er bestimmt exklusiv die Verwendung seiner Daten.

In diesen Bereichen der wissensbasierten Erstellung von entsprechend strukturierten ePAs, der Extraktion diagnose- und therapierelevanter Befunde, auch und gerade in einer medizinischen Notfallsituation, sowie einer patientengerechten Verbalisierung von ePA Inhalten sind anspruchsvolle Anwendungsfelder für Verfahren der künstlichen Intelligenz gegeben.

Einig waren sich die Kongressteilnehmer auch, dass die aktuelle Dynamik in diesem Sektor trotz der unterschiedlichen Ansätze in dem Feld sehr positiv zu bewerten ist. Besonders positiv wurde in der Vivy Gesundheitsassistentin – Frontend einer ePA – die Zusammenarbeit zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen (u.a. DAK und Allianz) gesehen. Die für die deutsche Gesundheitswirtschaft hochnotpeinliche Panne mit der elektronische Gesundheitskarte, die nach fünfzehn Jahren Entwicklungszeit bei der Gematik und über 1 Mrd. Entwicklungskosten im Kern zu einer Nulllösung ohne praktischen Nutzwert führte, darf und wird sich nicht wiederholen. „Die Patienten werden die ärztliche Selbstverwaltung vor sich her treiben“ und brauchbare digitale Lösungen erzwingen, formulierte es der langjährige Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Vorsitzende des Ausschusses Telematik der Bundesärztekammer, Dr. Franz-Joseph Bartmann. Die Innovationskräfte kommen heute von den Patienten mit ihren Smartwatches selbst, und werden sich durch retardierende Momente in der Ärzteschaft und den Kassen nicht mehr ausbremsen lassen.

Telemedizin und die Videosprechstunde

Das bisherige Verbot ausschließlicher Fernbehandlungen, das wesentliche telemedizinische Behandlungsverfahren bisher komplett zu verhindern suchte, ist durch Beschluss des deutschen Ärztetages vom 10.05.2018 deutlich gelockert worden. Allerdings muss dieser Beschluss von den Landesärztekammern in die jeweiligen Berufsordnungen der Ärzteschaft in den Bundesländern noch übernommen werden. In Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ist dies schon erfolgt. Nach allgemeiner Auffassung ist die vom KBV und GKV Spitzenverband vereinbarte Vergütung von €13,48 (gemäß EBM) pro Videosprechstunde, verbunden mit der Einschränkung auf wenige Indikationen, eine abrechenbare Obergrenze von 50 Stück pro Quartal und weitere Einschränkungen hinsichtlich des Patientenbesuchs in der Arztpraxis aber noch alles andere als praxisgerecht. Sie ist höchstens ein erster Teilschritt zu einer zukunftsweisenden und konkurrenzfähigen telemedizinischen Lösung in Deutschland und für Europa.

Wissensbasierte Diagnostik

Der routinemäßige Einsatz von KI-Verfahren in der Diagnostik wird sich aus Sicht der Protagonisten des 5. eHealth Kongress absehbar durchsetzen. „Es wird ein Kunstfehler sein, kein Expertensystem zur Absicherung einer Diagnose zusätzlich einzusetzen“, formulierte es der Chef der TKK, Dr. Jens Baas, in der initialen Podiumsdiskussion. Aus den Worten von Landesärztekammerpräsident Bartmann klang dabei fast so etwas wie Wehmut: „Diese Entwicklung wird sich nicht aufhalten lassen“. Die zunehmend dominantere Rolle von wissensbasierten Verfahren in der medizinischen Bildanalyse ist zwischenzeitlich allgemein akzeptiert. Das zukünftige Berufsbild des Radiologen, der als eine seiner bisherigen Kerntätigkeiten die medizinische Bildinterpretation hat, steht deshalb schon verschärft in der Diskussion. Im Bereich der allgemeinen ärztlichen Diagnostik ist aber aktuell durchaus noch Skepsis angebracht. „Dr. Watson versagt“ titelte Spiegel Online kürzlich [1] in einem kritischen Bericht über das gleichnamige KI System von IBM im medizinischen Einsatz.

der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Dr. Jens Bass, in der Podiumsdiskussion beim 5. eHealth Kongress am 8.8.2018 in Franklurt zusammen mit Lukas Raab, Geschäftsführer MINDS-Medical GmbH, und Moderator Detlef Hans Franke, geschäftsführender Vorstand der Gesundheitswirtschaft Rhein-main (von links nach rechts)
Jens Bass, TKK Chef, in der Podiumsdiskussion mit Lukas Naab, MINDS-Medical, und Moderator Detlef Hans Franke (v.l.n.r.)

 

KI in unserer Smartwatch Assistenz App für Ältere

Auch in diesem Jahr haben wir beim 5. eHealth Kongress in Frankfurt wieder unsere Smartwatch Assistenz Lösung zur Unterstützung Älterer und/oder Unterstützungsbedürftiger ausgestellt. Der Fokus lag dabei auf der eingesetzten KI-Technologie. Die wissensbasierten Verfahren kommen an drei Stellen zum Einsatz[2]:

  • Mit Data MiningVerfahren haben wir in der Trainingsphase zunächst die geeigneten statistischen Parameter aus den Sensorsignalen (Accelerometer, Gyrometer, Barometer, … ) der Smartwatch bestimmt, mit denen sich die für uns relevanten Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs), wie Trinken, überhaupt erkennen lassen.
  • Die so identifizierten statistischen Parameter bilden dann das Eingangslayer eines künstlichen neuronalen Netzwerks (ANN), das im laufenden Produktionsbetrieb des Assistenzsystems die Erkennung der ADLs und der Ereignisse des täglichen Lebens (EDLs), wie Sturz, übernimmt. Ausgabelayer  dieses Netzwerks sind die erkannten ADLS, EDLs. Das von uns in der Smartwatch verwendete neuronale Netzwerk hat mit nur einem verborgenen Layer und einer unidirektionalen Wirkungsrichtung des Netzwerks (»feed forward network«) technisch eine sehr einfache Struktur. Hintergrund dieser Beschränkung sind der Energieverbrauch der Assistenz App und die begrenzte Batteriekapazität der Smartwatches. Das neuronale Netz muss kontinuierlich die eingehenden Smartwatch Sensordaten über einen vollen Betriebstag – von 18 Stunden Dauer – analysieren können.
  • Sobald ein ADL/EDL durch das ANN erkannt wurde, ist in einer deklarativem Wissensrepräsentation spezifiziert, was dann zu tun ist. Dieses formalisierte Wissen ist pflegerisches Handlungswissen, das beschreibt, i) wie gesundheitliche Gefahrensituationen aus dem Vorliegen und der Abfolge von ADLs/EDLs erkannt werden und ii) was dann in einer bestimmten gesundheitlichen Gefahrensituation zu tun ist. Solches Wissen ist empirisches best practice Wissen, das sich häufig ändert und optimiert wird. Daher ist es wichtig, dass dieses in der Smartwatch gespeicherte Wissen auch für Nicht-IT Kräfte aus dem Pflegebereich nachvollzogen und einfach geändert werden kann. Es ist weiter wichtig, dass dieses Wissens modular und pro Gesundheitsgefährdung separat betrachtet werden kann (»divide et impera«). Etwa das Wissen darüber, wann von einer Dehydrierung des Smartwatch Nutzers infolge unzureichendem Trinkens auszugehen ist? In der Praxis können natürlich mehrere Gesundheitsgefahren auch nahezu zeitgleich auftreten, und müssen dann von der Smartwatch App gemäß Dringlichkeit gebündelt oder nacheinander abgearbeitet werden, wie in der Wissensrepräsentation beschrieben.
Rainer Lutze, Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting, im Gespräch mit einem Kongressgast beim 5. eHealth Kongress am 8.8.2018 in Frankfurt
Rainer Lutze, Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting, im Gespräch mit Kongressgast

 

Referenzen

[1] Supercomputer in der Medizin / Dr. Watson versagt, Spiegel Online vom 3.8.2018

[2] Rainer Lutze, Klemens Waldhör: Personal Health Assistance for Elderly People via Smartwatch Based Motion Analysis, IEEE international Conference on HealthCare Informatics (ICHI) 2017, Park City, UT, USA, pp. 356-361 , DOI: 10.1109/ICHI.2017.79

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Rainer Lutze

Rainer Lutze ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting. Das Unternehmen berät seit seiner Gründung im Jahr 2000 Unternehmen und Organisationen im Bereich der digitalen Medien und der digitalen Gesundheit und Pflege (eHealth). Aktuelle Schwerpunkte sind Smartwatches und ein intelligente Zuhause, das ein gesundes, sicheres und selbstbestimmtes Leben im vertrauten Zuhause bis ins hohe Alter und auch in Gegenwart alterstypischer Beschwerden und Einschränkungen ermöglicht.

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