Smartwatch-Quo Vadis

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Smartwatch, quo vadis?

Eine kritische Bestandsaufnahme zum Mobile World Congress (MWC) 2017

Als der Marktforscher IDC Ende Oktober 2016 einen über 50% Einbruch der Smartwatch Verkäufe für das Q3 / 2016 vermeldete [1], überraschte dies eigentlich niemanden. Selbst wenn dieser Rückgang nicht unbestritten ist [2], ist die allgemeine Enttäuschung über die Entwicklung dieses Marktsegmentes mit Händen greifbar. Welch hohe Erwartungen waren im Sommer 2014 an die Ankündigung der Apple Watch geknüpft worden! Mit der Markteinführung der Samsung Gear S™Ende 2014 schienen sich diese Erwartungen ja auch langsam zu erfüllen. Ein großes, gebogenes 2“ OLED Touchscreen Display und vor allem das integrierte 3G Mobiltelefon, das die Smartwatch unabhängig von einem mitgeführten Mobiltelefon machte. Solche Features regten die Phantasie an, was jetzt und zukünftig an Smartwatch Apps möglich wird! Allein, die erwarteten Fortschritte der Hard- und Software in den letzten zwei Jahren blieben weit hinter den Erwartungen der Meisten zurück. Von den wenigen Ausnahmen abgesehen, ist die Smartwatch bisher ein nettes Accessoir für das Smartphone ohne überzeugenden Eigennutzen geblieben. Insbesondere die deutlichen Wünsche der Nutzer nach einem wetterfesten, autark vom Smartphone nutzbaren Gerät wurden weitgehend von den Herstellern ignoriert. Deshalb gibt es auch kaum Smartwatch Software außerhalb des Fitness Bereichs, deren Nutzen breite Anwenderkreise überzeugt. In der symbiotischen Abhängigkeit zwischen Hardware und Apps ein klassisches „Henne und Ei Problem“! Wie sieht die Zukunft aus?

Die Ursachen der Enttäuschung

Hardware. Ja, viele offenkundige Kinderkrankheiten der ersten Smartwatch Generation wurde zwischenzeitlich korrigiert. Apple hat seiner 2. Generation der Watch einen GPS Sensor, eine Verdopplung der Display Helligkeit und verbesserte Outdoor Fähigkeit spendiert. Die Apple Watch kann jetzt auch beim Schwimmen und Baden am Arm bleiben. Samsung hat mit der Gear S2™ und LG mit den aktuellen Modellen LG Watch Sport™ und Style™ für ihre Smartwatches eine induktive, kontaktlose Aufladung eingeführt. Das komplizierte Andocken der Ladeschale, das hohe feinmotorische Fähigkeiten erforderte, ist damit Vergangenheit. Für viele, gerade ältere Smartwatch Nutzer entfällt damit eine bisher deutliche Nutzungsbarriere.

Mobilfunk. Und nein – im Bereich der gewünschten Autarkie gibt es praktisch keine Fortschritte zu verzeichnen. Die Apple Watch hat noch immer keine 3G/LTE Kommunikationsfähigkeit. Sie ist weiter von einem bekannten – oder offenen – WLAN in der Umgebung der Uhr oder dem mitgeführten iPhone abhängig. Ganz im Gegenteil, Samsung  setzt mit der Gear S2™ und S3, statt auf die klassische SIM Technologie der Gear S™, jetzt auf eSIMS [3][4]. eSIMs sind in die Hardware der Smartwtches fest als Chip integriert. Gerade bei Wearables zählt jeder Kubikmillimeter Raumeinsparung für die Elektronik, der dann für die Batterie verfügbar ist. Vor allem entfällt mit der eSIM der ansonsten notwendige SIM-Karten Slot. Damit entfällt ein Einfallstor für Staub, Feuchtigkeit und Wasser in das Gerät. Dies ist langfristig und unter der Perspektive des Internets der Dinge (IoT) theoretisch der richtige und einzige Weg [5]. Rein praktisch ist die eSIM, trotz der abgeschlossenen Standardisierung der Funktionen, aber noch nicht in Europa angekommen.

Apps. Den persönlichen Gesundheitsassistenten, der Bewegungsmuster des Smartwatch Trägers und seine Vitaldaten kontinuierlich überwacht, hätte man früher als „Killerapplikation“ für Smartwatches bezeichnet. Diese App ist für breite Bevölkerungskreise, insbesondere bei alleine ausgeübten, Gefahren geneigten Sportarten und Tätigkeiten (mountain biking, Heimwerken, … ), sehr relevant. Gerade ältereren Menschen wird die App ein sicheres und selbstbestimmtes Leben im vertrauten Zuhause bis ins hohe Alter ermöglichen. Stürze, abweichende Vitaldaten und ungewöhnliche Verhaltensmuster werden  von der App automatisch erkannt. Sie können zuverlässig von jedem Ort, der eine Mobilfunkabdeckung hat, über das integrierte 3G/LTE Mobiltelefon der Smartwatch weitergemeldet werden. Selbst dann, wenn ein verunfallter Smartwatch Träger nicht mehr von sich aus reagieren kann. Die Alarmmeldung kann an Familienangehörige, den Hausarzt zur telemedizinischen Konsultation, oder eine Hausnotrufzentrale gehen. Über das in die Smartwatch integrierte Mobiltelefon kann die Situation vor Ort dann im direkten Gespräch – wenn möglich – weiter geklärt werden.

Leider können die Sensoren der aktuellen Smartwatches erst einen von 3 zentral wichtigen Vitalparametern erfassen: den Puls. Die Erfassung des Blutdrucks am Handgelenk ist perspektivisch durch Messung der Durchlaufzeit der arteriellen Pulswelle durch das Uhrenarmband möglich [6],  [7]. Und zumindest für Säuglinge funktioniert auch die Messung der arteriellen Sauerstoffsättigung am Handgelenk schon. Für Diabetiker wird der Gesundheitsassistent den aktuellen Glukosegehalt der Gewebeflüssigkeit von entsprechenden Körpersensoren direkt übernehmen und unauffällig anzeigen. Auch dies ist aber noch immer nicht direkt, sondern nur via gekoppeltem Smartphone möglich (Beispiel: DEXCOM G5, Apple Watch).

Das eSIM Dilemma

Die Netzbetreiber- und Hersteller Vereinigung GSMA verkündete anläßlich des Mobile World Kongresses (MWC) in Barcelona am 18.02.2016 [8]„The mobile industry has released a new global SIM specification that enables consumers to remotely and independently connect companion consumer devices such as smart watches, health bands, tablets and other devices to a mobile network“. Zu den Details und Vorzügen dieser zukünftig fest in den Geräten verbauten eSIM Karten aus Sicht des GSMA ihr zuständiger Manager Gary Waite:

Die neue eSIM Technologiezentrale hat eine zentrale Einschränkung. Netzbetreiber und Hardware eines Endgerätes können nicht mehr unabhängig voneinander vom Nutzer ausgewählt werden. Selbst wenn die technischen Funktionen der eSIM jetzt standardisiert sind, stehen die regulatorischen Rahmenbedingungen mitnichten fest. Sie bestimmen, unter welchen Bedingungen für den Nutzer ein Wechsel des in der eSIM gespeicherten Netzbetreibers möglich sein soll. Dabei geht es um viel mehr als die Flexibilität des  Netzbetreiberwechsels. So etwa t3n Redakteur Jochen G. Fuchs im Sommer 2015 vorausahnend [9]„Die Anbieterauswahl in den begehrten High-End-Geräten wird vorselektiert sein. Beileibe nicht jeder Anbieter wird vertreten sein und schon gar nicht jeder Tarif – lässt sich doch mit der eSim und der Softwareauswahl endlich wunderbar festlegen, welche Tarife in welchem Endgerät zur Verfügung stehen.“

Für die Telkos droht als Konsequenz der eSIM Einführung der Verlust der für sie strategisch wichtigen Kundenbeziehung [10]. Wie das Beispiel der „Apple SIM Karte“ zeigt, verlieren die Telkos den direkten Zugang zu ihren Kunden.  Tarife für die Apple SIM Karte werden etwa von Apple Kunden direkt im iTunes Store erworben. Apple kauft bei den teilnehmenden Netzbetreibern nutzerübergreifend Kontingente ein. Die Telkos werden nur noch Zulieferer der jeweiligen Hersteller. Daher sind die Telkos kaum als Förderer einer solchen Entwicklung hin zur eSIM zu gewinnen. Sie suchen hängeringend nach praktikablen Alternativen, wie sie auch für eSIMs im Besitz der Kundenbeziehung verbleiben. Längerfristig wird das die eSIM aber nicht aufhalten.

Aktuell können Smartwatch Modelle mit eSIMs praktisch nicht in Europa genutzt werden. Erste Versuche, die Samsung Gear S2 Classic™ mit eSIM 2016 bei O2 und Vodafone zu vertreiben, endeten verkaufstechnisch sehr ernüchternd. Die Samsung S3 Frontier LTE™ wird deshalb nicht in Europa angeboten. Aktuell sind LG und Huawei (s.u.) die einzigen der großen Anbieter, die 3G/LTE fähige Smartwatches mit der vertrauten nano SIM Karte im Portfolio haben. Wobei die brandaktuell auf dem Mobile World Kongress (MWC) 2017 vorgestellte Huawei Watch 2™ sowohl eine eSIM wie einen nano SIM Kartenslot in einer Uhr kombiniert. Die Uhr ist damit für alle absehbaren Entwicklungen gerüstet.

Lichtblicke

In den letzten Wochen waren drei positive Signale im Smartwatch Sektor zu verzeichnen:

  • Nach langer Verzögerung hat Google am 9. Februar 2017 seine neue Version 2.0 von Android Wear freigeben [11]. Android Wear 2.0 zeichnet sich als Smartwatch Betriebssystem insbesondere durch die Unterstützung autarker Smartwatches aus, die sich auf ein integriertes 3G/LTE Mobilfunkmodul zur Kommunikation stützen. Begleitend wird es einen separaten Play Store geben, aus dem Smartwatch Apps direkt, ohne ein Smartphone als Relaystation, in die Uhren geladen werden können. Für den obigen skizzierten Gesundheitsassistenten sind aber vor allem zuverlässige Hintergrundservices unverzichtbar [12], die kontinuierlich im Hintergrund die Bewegungsmuster und Vitalparameter des Smartwatch Nutzers analysieren. Auch dann, wenn das Display der Smartwatch nicht eingeschaltet ist und keine (andere) App im Vordergrund ablaufen.
  • Zeitgleich mit der Android Wear 2.0 Vorstellung hat LG mit der Watch Sport eine LTE fähige Smartwatch für dieses Betriebssystem mit nano SIM Kartenslot angekündigt. Die gemäß IP 68 umweltfeste Smartwatch mit induktiver Ladeschnittstelle wird zunächst nur in den USA verkauft werden. Ein erster Erfahrungsbericht von dort findet sich hier. Sie wird für US $349 über Google, AT&T und Verizon vertrieben.  Die Smartwatch zeichnet sich neben den üblichen Sensoren durch ein  großes 1,38“ OLED Display mit 480×480 Pixeln, einen 1.1. GHz Quadcore Prozessor mit 768 MHz Arbeitsspeicher sowie 430mAh Batteriekapazität aus.
LG Watch Sport blau und grau
Die LG Watch Sport(TM) mit LTE gibt es mit blau oder grau eloxiertem Stahlgehäuse, Bildquelle: LG

Die 3G fähige LG Urbane 2nd Generation™wird wie viele andere Android Smartwatches auf Wear 2.0 aufrüstbar sein.

  • Mit der Huawei Watch 2™ wird es zumindest jetzt einen zweiten Hersteller geben, der eine LTE fähige Smartwatch mit Android Wear 2.0 und nano SIM Kartenslot in seinem Sortiment hat. Die Uhr soll in mehreren Ausführungen zwischen €329 und €399 noch im März auf den Markt kommen. Das mit LTE Mobilfunk ausgerüstete Modell wird voraussichtlich  €379,– kosten. Die Uhr ist gemäß IP68 resistent gegen Umwelteinflüsse. Sie bietet alle üblichen Sensoren, ein 1.2“ OLED Display mit 390×390 Pixeln Auflösung sowie eine 1.1. GHz Quadcore CPU mit 768 MHz Arbeitsspeicher. Die Batterie hat 420mAh Kapazität.
Huawei Watch 2 mit Nano SIM Kartenslot
Huawei Watch 2(TM) mit LTE, Nano SIM Kartenslot, Bildquelle: Huawei

Referenzen

1 IDC, Pressemitteilung vom 23.10.2016 – Smartwatch Market Declines 51.6% in the Third Quarter as Platforms and Vendors Realign, IDC Finds

2 Canalysis, Pressemitteilung von 3.11.2016 – Media Alert:Smart watch market grows 60% in Q3 2016 as Apple ships 2.8 million units

3 The Verge vom 18.02.2016: „Samsung’s Gear S2 has the first certified eSIM that lets you choose carriers“

4 heise online vom 18.02.2016: „Mobile World Congress (MWC) 2016: »Samsung Smartwatch Gear S2 Classic 3G« eröffnet das Zeitalter der eSIM“

5 VDI nachrichten Nr. 47 vom 25.11.2016, S.14: „Die Dinge im Internet brauchen die eSIM“

6 EMPA, Medienmitteilung vom 12.06.2013 – Ein Armband revolutioniert die Blutdruckmessung

7 STBL Medical Research AG – Carunda24 Continuous Pulse Wave from Blood Pressure Monitoring

8 GSMA Pressemitteilung vom 18.02.2016: „GSMA Releases Remote Provisioning Specification to Help Consumers Connect Mobile Devices“

9 t3n News vom 21.06.2015: „Warum die eSIM von Apple und Samsung eine Katastrophe für Nutzer und Netzbetreiber ist“

10 DIE WELT vom 19.02.2016: „Im März beginnt der langsame Tod der SIM-Karte“

11 Wareable.com vom 8.2.2017: „Android Wear 2.0: The ultimate guide to the major smartwatch update“

12 Android Developers – Building Apps for Wearables 

Veröffentlicht von

Ein Bild unseres Blog Autors Rainer Lutze

Rainer Lutze

Rainer Lutze ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting. Das Unternehmen berät seit seiner Gründung im Jahr 2000 Unternehmen und Organisationen im Bereich der digitalen Medien und der digitalen Gesundheit und Pflege (eHealth). Aktuelle Schwerpunkte sind Smartwatches und ein intelligente Zuhause, das ein gesundes, sicheres und selbstbestimmtes Leben im vertrauten Zuhause bis ins hohe Alter und auch in Gegenwart alterstypischer Beschwerden und Einschränkungen ermöglicht.

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