Medientage München, 23.-25. Oktober 2019

Medientage München 2019 – Eindrücke von und im Umfeld der #MTM19

Wer erwartet hätte, dass die aktuelle gesellschaftliche Diskussion zu Meinungsfreiheit und vermeintlichen und faktischen Grenzen des Sagbaren [1] ihren Weg zu den Medientagen München gefunden hätte, wurde enttäuscht. Das beherrschende Thema der Veranstaltung, die vom 23.-25.10. im Messegelände München stattfand, war die Positions- und Aufgabenbestimmung des Journalisten in der Welt der digitalen Medien. Und den Rollen und der Bedeutung von künstlicher Intelligenz (KI) für die Arbeit von Journalisten.

Juan Moreno im Gespräch mit Richard Gutjahr, Medientage München 2019
Juan Moreno (l). im Gespräch mit dem Journalisten Richard Gutjahr über seine Disput mit dem „Reportagendichter“ Claas Relotius, Medientage München 2019

Der Diskurs um die Meinungsfreiheit

„Der Spiegel“ war eine Woche nach den Medientagen München mit seinem Aufmacher und der entsprechenden Titelgeschichte über die Meinungsfreiheit [2] instinktsicher deutlich näher am aktuellen gesellschaftlichen Puls der Zeit.

Springer Chef Mathias Döpfner sieht in seinem Spiegel-Interview [3] den Diskurs in Deutschland als „politisch korrekt sediert.“ „Jeder kann in Deutschland sagen, was sie oder er denkt. Interessant ist aber, dass sich offenbar immer weniger Menschen das auch trauen. Meine paradoxe Beobachtung: Je weniger Mut es kostet, seine Meinung zu sagen, desto weniger Mut ist vorhanden. Unter Hitler und Stalin haben Menschen ihr Leben riskiert. In Deutschland 2019 riskiert man einen Shitstorm. Und kaum einer traut sich. Das ist nicht gut. Widerspruch ist der Humus einer demokratischen, offenen Gesellschaft.“, so Döpfner. „Der Freitag“ Herausgeber Jacob Augstein vertritt dazu in einem Podcast von Gabor Steingart eine konträre Position [4]: „Was diese Menschen eigentlich meinen, ist doch: Sie können nicht ungehemmt ihren Ressentiments in der Öffentlichkeit freien Lauf lassen, sie können das böse N-Wort nicht mehr ungestraft aussprechen oder frauenfeindliche Witze machen. Ich würde sagen: Ja, stimmt, die gute alte Zeit war gar nicht so gut. Das, was Du da gerade beschreibst, mein Freund, nennt sich Fortschritt.“ Die Bundesregierung plant aktuell als Verschärfung des Netzwerk Durchsetzungsgesetzes (NetzDG) eine über das Löschen hinausgehende Anzeigepflicht für Offizialdelikte, die in den Kommentaren/Postings in sozialen Netzwerken offenbar werden [5].

Quo vadis Print?

Aus Sicht der Teilnehmer der Medientage München ist die Frage klar beantwortet. Der Flottenkurs lautet: Digital First. Die operative Ausgestaltung von „conversion units“, die Print Abos mit maximaler Priorität und Effizienz vor dem erwarteten Aus der Gedruckten in Digital Abos umwandeln, war daher eines der bestimmenden Themen der Medientage.

Referat Dr. Franziska Augstein, zur Notwendigkeit professioneller Journalisten, MTM 2019
Dr. Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung, zur weiterbestehenden Notwendigkeit professioneller Journalisten

Die Hintergründe des beabsichtigten Erwerbs von knapp 44% der Aktien der Axel-Springer AG durch KKR für 2,9 Mrd. € waren ebenfalls Gegenstand intensiver Spekulationen während der Medientage München. Franziska Kayser, Director Private Equity, KKR, versicherte in ihrem Vortrag, dass dieses Investment die internationale Relevanz des Medienkonzerns und seiner Produkte absehbar sichern werde. Springer realisiert heute schon 84% seiner Gewinne im Digitalbereich, schwerpunktmäßig mit den Rubrikenmärkten. Ziel des KKR-Investements sei ein konsequenter Ausbau dieser Digitalstrategie, so Kayser. Sie verwies auf die insgesamt 5 Mrd. €, die KKR in den letzten 20 Jahren in die deutschen Medien investiert habe, wie BMG und ProSieben. Dr. Franziska Augstein, Süddeutsche Zeitung (SZ), insinuierte in Ihrem Referat, das die BILD wohl in ein emotionalisiertes Fernsehen transformiert werden soll. „Wenn die Politik besoffen ist, muss der Journalismus nüchtern bleiben“, formulierte Augstein ihre Gegenposition.

Soziale Netzwerke

Über die Bedeutung der sozialen Netzwerke als gleichgewichtiges viertes, gesellschaftlich relevantes Medium neben Print, Hörfunk und Fernsehen herrschte über die Medientage München hinweg  2019 allgemeiner Konsens. Nur die Konsequenzen daraus sind unklar. In dem Review der Entwicklung des Privatfernsehens in Bayern beklagte Ex-MP Dr. Edmund Stoiber die Disparität der Regulierung. Die klassischen Medien unterliegen im öffentlichen Raum einer Fülle sehr detaillierter gesetzlicher Regularien. Die sozialen Medien sind im digitalen Raum, bis auf das NetzDG, praktisch unreguliert. Die Reaktion des Gesetzgebers auf diese Entwicklung nach Auffassung Stoibers unangemessen langsam. Der Ruf nach regulierten öffentlich-rechtlichen sozialen Netzwerken war deshalb unüberhörbar. Allerdings war dazu auch das Bauchgefühl verbreitet, dass die gewünschte Staatsferne eines solchen öffentlich-rechtlichen Konstruktes wohl nur sehr schwer realisierbar wäre. Gerade die Promotion von ARD-Vorsitzenden und Intendanten Ulrich Wilhelm für ein solches Konstrukt bestärkte Viele in ihrem Argwohn, dass dies nicht zuletzt die Selbstbedienungsgelüste des bisher schon weltweit aufwendigsten öffentlich-rechtlichen Rundfunk-/ Fernsehsystems weiter steigern könnte. Die Meinungen, ob eine Aufholjagd gegen Facebook und Google’s Youtube überhaupt noch eine reale Chance hat, waren geteilt.

Künstliche Intelligenz (KI) in den Medien

Die Medientage München 2018 waren hinsichtlich KI noch durch die allgemeinen und spezifischen Angebote einzelner Anbieter wie Google, IBM … für die Medien bestimmt (vgl. dazu unseren Bericht in diesem Blog). Dieses Jahr wurde klarer, wo ein wirtschaftlicher Einsatz der Technologie in der kosteneffizienten Massendatenverarbeitung in den Medien tatsächlich liegt.

Facebook kann 70 Prozent aller strafrechtlich relevanten bzw. unerwünschten Inhalte vermittels KI Verfahren identifizieren und dann in seinen Löschzentren in Essen und Berlin manuell nachbearbeiten und verifizieren. Das Unternehmen berichtete, in 2019 in einem Zeitraum von nur 3 Monaten dort über 160.000 Postings gesperrt zu haben. Der Spiegel Verlag setzt KI ein, um in den über monatlichen 100.000 Kommentaren zu seinen Artikeln – incl. des Facebook Angebotes – 25% aller Kommentare mit inkriminierten Inhalten bzw. HateSpeech automatisiert vorzuklassifizieren. Entsprechende Kommentare können dann nach manueller Verifikation entfernt werden. Die Süddeutsche Zeitung weist in Ihrem Beitrag [6] allerdings auf die Schwierigkeiten hin, Hass-Postings von zulässigen Werturteilen und insbesondere unzutreffenden Tatsachenbehauptungen, übler Nachrede gemäß §186 StGB, vermittels KI sicher unterscheiden zu können. ProSiebenSAT.1 verwendet KI, um sein gesamtes Videomaterial automatisiert zu durchmustern. Die KI sucht nach möglicherweise jugendgefährdenden Bildszenen oder nach inhaltlich passenden Stellen, wo eine spezifische Werbung platziert werden könnte. Schon auf der IFRA / DCX Expo zwei Wochen zuvor am 8./9.10. in Berlin wurde deutlich, dass eine KI basierte automatische Inhaltserschließung des gesamten verfügbaren Bildmaterials unverzichtbar für leistungsfähige Redaktionssysteme wird. Über die klassischen EXIF Daten von geografischem Ort und Zeitpunkt der Aufnahmen liefert KI eine Verschlagwortung dazu, was bzw. welcher Event dargestellt ist, welche Promis mit welcher Emotionalität im Bild enthalten sind und wo das Bild schon veröffentlicht wurde. Der Kauf des entsprechend ausgebauten Asset Management Systems / Bildarchivs Digital Collections durch Redaktionssystemanbieter CGI Europe [7] und die Integration in dessen CUE System passen da komplett ins Bild. Auch die automatisierte Verdichtung von Spielaufzeichnungen im Sport („highlight clipping“)  vermittels KI funktioniert überraschend gut. IBM berichtet für sein Watson KI-System eine Erfolgsrate von 80% für die Extraktion spielrelevanter Szenen. KI-Chatbots, die hochdifferenzierte und personalisierte Angebote konfigurieren, etwa Fitness Coaches, werden zunehmend ein erfolgreiches Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb.  Offen bleibt dabei, ob ein KI-Chatbot tatsächlich einen verärgerten Nutzer von der beabsichtigten Kündigung seines Medienabonnements abhalten kann. Eine Vorabermittlung kündigungsgefährdeter Abonnenten aufgrund von Irregularitäten in der Zustellung erscheint als Betätigungsfeld für KI heutzutage erfolgsversprechender.

Insgesamt demystifiziert sich KI in den Medien zunehmend als ein Rationalisierungsinstrument, um die Arbeit in den Redaktionen effizienter als bisher zu organisieren. Dies schliesst die Aufbereitung solcher Daten ein, für die bisher ein Einsatz von Redakteuren zu kostenaufwendig war und deshalb unterblieben ist.

Roboterjournalismus

Ob plakativ als Roboterjournalismus bezeichnet, nüchtern als Datenjournalismus, oder noch kleiner als Daten beeinflusster Journalismus, Prof. Neil Thurman von der LMU München konnte in seinem Impulsvortrag anläßlich der Medientage München 2019 kaum Sensationen verkünden. Die Frage, was künstliche Intelligenz in den Redaktionen leisten kann, erlaubt heute eigentlich nur eine ehrliche Antwort: nichts Bewegendes.

Neil Thurman, LMU München, über Roboterjournalismus, MTM 2019
Prof. Dr. Neil Thurman, LMU München

Sicher ist es möglich, aus (langweiligen) Zahlen regelbasiert faktenbasierte Texte zu generieren. Das gilt für Wetterberichte, Wirtschaftsnachrichten, eine kleinteilige Wahlberichterstattung, Crime Maps, … . So generiert die RADAR News Agency (Reporters and Data and Robots) in Großbritannien [8] seit 2018 aus öffentlich zugänglichen Daten  mit KI-Methoden täglich für 400 Regionen Nachrichten im Umfang von 300-400 Worten für die Lokal-/ Regionalpresse. Sie werden jeweils im Untertitel mit dem Namen des jeweiligen Redakteur gekennzeichnet, der das zur Generierung verwendete, spezifische Regelwerk entwickelt hat. RADAR wurde auf der IFRA /DCX Expo in Berlin zuvor detailliert vorgestellt und dort berichtet, dass es viele der generierten Nachrichten auf die Titelseiten der Lokal-/Regionalpresse geschafft hätten. Von der journalistischen Kunst des story telling und eines faktenbasierten Erzählens – die einer künstlichen Intelligenz das Prädikat „intelligent“ zuschreiben würde – ist der algorithmische Journalismus aber noch weit entfernt. Er liefert heutzutage nur das Rohmaterial.

Präsentation Prof. Thurman, MTM 2019
Präsentation Neil Thurman, MTM 2019

Investigativjournalismus

Der Investigativjournalismus als eine der Königsdisziplinen von Journalisten behält unter Berücksichtigung des oben Gesagten seine Berechtigung. Dies wurde in der diesjährigen Abschlusssession der Medientage München deutlich: „Panama-Papers, Ibiza Gate und Football Leaks: Investigativer Journalismus zwischen Klischee und Wirklichkeit“. Große investigative Recherchen sind vor allem aufwendig. So berichtete Frederik Obermaier von der Süddeutschen Zeitung, dass eine Durchdringung der „Panama Papers“ ohne Einsatz speziell geschulter Datenjournalisten in Anbetracht der Masse der geleakten Daten gar nicht möglich gewesen wäre. Diese mussten in dem speziellen Fall aus den USA verpflichtet werden. Data Science ist in der USA, wo vielerlei Daten der öffentlichen Institutionen frei zugänglich sind, bereits verpflichtender Bestandteil der journalistischen Ausbildung.

Länderübergreifende Journalistenkooperationen sind für große Investigativvorhaben heute unverzichtbar. Selbst innerhalb Europas bleiben sie wegen des unterschiedlichen nationalen Presserechtes und damit verbundener unterschiedliche Investigativkulturen aber aufwendig und schwierig.

Und im Zeitalter des Digitalen reicht eine gute Geschichte alleine nicht mehr aus. Ein strategisches Marketing der Rechercheergebnisse (über die unterschiedlichen digitalen Kanäle Facebook, Twitter, Instagram, Youtube) wird zunehmend unverzichtbarer. Die Antwort darauf, wie eine gute Geschichte Gehör findet, muss auch beinhalten, wie die Recherchergebnisse „Digitalabo fähig“ werden. Ein Standardvorgehen ist dabei, die Kernergebnisse der Recherche vor der Paywall, die Methodik der Recherche und vertiefenden Tatsachen jedoch hinter der Paywall zu platzieren, wie die Chefreporterin im Investigativteam WELT Anette Dowideit berichtete.

Teilnehmer des Gipfels "Investigativer Journalismus zwischen Klischee und Wirklichkeit", Medientage München 2019
Tim Loh (Bloomberg), Frederik Obermaier (SZ), Anette Dowideit (WELT), Alina Fichter (Moderation), Elena Kuch (NDR), Jörg Schmitt (Der Spiegel) v.l.n.r. beim Investigativgipfel, MTM 2019

Referenzen

[1] Deutsche Fragen – Deutsche Antworten / Grenzen der Freiheit,
FAZ vom 23.05.2019, Seite 12, über eine Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach (IfD)

[2]  Meinungsfreiheit in Deutschland / Warum harte Diskussion anstrengend, aber richtig sind, Spiegel Plus, 1.11.2019, und Der Spiegel, Nr. 45/2019

[3] Springer-Chef kritisiert „Sprachpolizei“ in Medien und Politik / „Das ist Antidebatte“
Spiegel-Gespräch mit Springer-Chef Mathias Döpfner über Poltitical Correctness in Medien und Politik, Spiegel Plus, 1.11.2019, und Der Spiegel, Nr. 45/2019

[4] “Ich bin für Konventionen und Tabus”,
(Podcast) Jakob Augstein im Gespräch mit Gabor Steingart über guten Journalismus, Vernunft, Interessen und den Zustand des Politischen

[5] Bestrafung von Hassdelikten im Netz / Löschen und verfolgen,
TAZ, 16.10.2019

[6] Hass im Netz / Wenn Algorithmen diskriminieren,
Süddeutsche.de, 25.10.2019

[7] Digital Collections wird Teil der CGI Europe Gruppe,
PM, 24. Juli 2019

[8] Radar: Using the latest AI tools to dynamically create high quality content at massive scale

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Ein Bild unseres Blog Autors Rainer Lutze

Rainer Lutze

Rainer Lutze ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting. Das Unternehmen berät seit seiner Gründung im Jahr 2000 Unternehmen und Organisationen im Bereich der digitalen Medien und der digitalen Gesundheit und Pflege (eHealth). Aktuelle Schwerpunkte sind Smartwatches und ein intelligente Zuhause, das ein gesundes, sicheres und selbstbestimmtes Leben im vertrauten Zuhause bis ins hohe Alter und auch in Gegenwart alterstypischer Beschwerden und Einschränkungen ermöglicht.

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