Web3 - Die Relevanz für den Journalismus

Web3 – Die Relevanz für den Journalismus

Das „Web3“ [1] ist die Vision eines dezentralen, Peer-to-Peer Internet Web Dienstes, der auf die großen Intermediäre des Web 2.0 (Amazon, Google, Facebook, … ) verzichten kann. Die Verifikation aller angebotenen Inhalte und ausgeführten Services ist durch öffentliche, verteilte Blockchains [2] möglich. Die Blockchain erlaubt speziell für Inhalte eine Verifikation, wer die Ersteller, Autoren der jeweiligen Inhalte sind. Sie bestimmt auch, welche Nutzungsmöglichkeiten für die Inhalte zulässig sind. Services können unter Verwendung der Blockchain transaktions- und verfälschungssicher sowie nachvollziehbar – wie Kryptowährungstransaktionen – ausgeführt werden.

Dieser Beitrag geht von der Hypothese aus, dass das Web3 irgendwann in der (nahen) Zukunft existiert. Welche Perspektiven – Chancen und Risiken – ergeben sich daraus für den Journalismus?

Dezentral oder doch zentral?

In seiner Besprechung in der New York Times [3] führt Kevin Rosse die starke Abhängigkeit von Web3 auf eine akzeptierte Kryptowährung aus, die für Bezahlvorgänge beim Zugriff auf kostenpflichtige Inhalte und insbesondere für Services zum Einsatz kommt. Durch die Peer-to-Peer Kommunikation wird einerseits eine Dezentralisierung und Demokratisierung des Internets ermöglicht. Im Gegensatz zum aktuellen „Web 2.0“, in dem die großen Plattformbetreiber wie Facebook, Google, … letztlich die Spielregeln bestimmen. Andererseits befördert der notwendige Einsatz akzeptierter Kryptowährungen natürlich Zentralisierungstendenzen, hierauf gründet sich die Hoffnungen promotender Investoren. Aktuell wird die Kryptowährung „Ether“ [4] von vielen Web3 Projekten verwendet. Die Abhängigkeit des Web3 und die allumfassende Verwendung von Kryptowährungen lassen auch dystopische Befürchtungen eines durch und durch kapitalisierten Internets aufkommen, bei dem jegliche Information und Leistung nur noch gegen Bezahlung möglich sein wird.

Wie wahrscheinlich ist das Web3?

Wir möchten in diesem Beitrag weder die Realisierungswahrscheinlichkeit der beschriebenen Vision und damit verbundenen Hoffnungen bewerten. Noch die Akzeptanz und Durchsetzungsgeschwindigkeit akzeptierter Kryptowährungen. Wir möchten ebenfalls nicht auf die technischen Schwierigkeiten in der Definition der notwendigen, allgemein akzeptierten Web3 Interoperabilität Standards eingehen. Auch der sehr hohe Energieverbrauch in der umfassenden Verwendung von Blockchains für die Verifikation beim Zugriff auf Inhalte und die Verschlüsselung von Transaktionen im Web3 sind gerade heutzutage kritisch zu hinterfragen. Und letztlich sollte der Widerstand der jetzt führenden Web 2.0 Intermediäre, sich aus dieser Rolle verdrängen zu lassen, nicht unterschätzt werden. Metas Gegenentwurf eines von ihm dominierten Metaversums ist ein beredtes Beispiel dafür.

Ebenso ist zu bedenken, dass bereits beginnend ab 2001 von www Erfinder Sir Tim Berners-Lee das Konzept eines maschinenlesbaren www Dienstes, des Semantic Web [5] , oft auch als „Web 3.0“ bezeichnet, vorgeschlagen wurde. Im „Web 3.0“ sind alle verwendeten Begriffe systematisch in Ontologien eingebettet, die mit definierter Semantik erklären, um was es sich bei dem Begriff genau handelt. Das Konzept konnte sich aufgrund des hohen Komplexität für die Ontologiedefinition nicht gegenüber dem aktuellen „Web 2.0“ durchsetzen.

Das Web3 ist eine aus unserer Sicht nicht unwahrscheinliche Möglichkeit der Zukunft des www Dienstes des Internets. Ob dies eine evolutionäre oder disruptive Entwicklung sein wird oder nur eine letztlich nicht realisierte, gut gemeinte Vision (von vielen), bleibt abzuwarten. Die Attraktivität, der  Nachfragesog der mit Web3 möglichen innovativen Anwendungen für die Internet Nutzer weltweit wird die Entscheidung bringen. Die  kontinuierlich beliebteren und auch entgeltpflichtigen Creator Communities geben erste Hinweise darauf. Was aber kann der Journalismus an Web3 Anwendungen beitragen?

Aufgabe des Journalismus

Titel "Der Spiegel" No. 52 2018: "Sagen, was ist."„Sagen, was ist“, dieses bekannteste Zitat des Spiegel Gründers Rudolf Augstein beschreibt die Aufgabe des Nachrichtenjournalismus kurz und prägnant. Augstein hat es mehrfach, 1961 [6]  und insbesondere 1989 [7] in entscheidenden Situation der deutschen Nachkriegsgeschichte verwendet. Als „Mission Statement“ prägt es heute die Empfangshalle des neuen Spiegel-Gebäudes auf der Ericusspitze der Hamburger HafenCity. Im Kontext der „Relotius“ Affäre war das Zitat Titel der Ausgabe Nr. 52/2018 (s. Bild). Augsteins Sohn Jakob Augstein ergänzte das Credo richtigerweise um das „Sagen, was sein sollte“ [8] für den Kommentar- und Kolumnenteil von Nachrichtenmedien. Eine für den Leser indifferente und intransparente Vermischung dieser beiden Informationskategorien hat in den letzten Jahren zunehmend zum Glaubwürdigkeitsproblem moderner Medien beigetragen.

„Less trust, more truth“

Web3 Evangelist Gavin Wood, der den Begriff 2014 „Web3“ geprägt hat, führte in einem Interview Ende 2021 [9] als Hauptvorteil des Web3 aus: „less trust, more truth“. Er meinte damit, dass durch den Einsatz der Verschlüsselungstechniken die bisherige Notwendigkeit, Aussagen im Web 2.0 hinsichtlich Richtigkeit und Integrität zu glauben, sinken wird. Dank eines perfektionierten Einsatzes der Blockchain Technologie – über die weiter unten noch in Bezug auf den Journalismus zu sprechen sein wird – kann man sich auf Richtigkeit und Integrität von Aussagen im Web3 verlassen. Die Glaubwürdigkeit / Integrität von Informationen und Services hängt nicht mehr von der Reputation der anbietenden Plattformbetreiber ab, wie im Web 2.0.

Journalismus im Web3

Ein zentraler Problemkreis des Journalismus, der sich mit Anwendungen auf Basis der Web3 Technologie angehen lässt, ist die Steigerung der Glaubwürdigkeit von Nachrichtenmedien und Bekämpfung von „Fake News.“ Das Problem beginnt mit der Authentizität des Berichtenden, Reporters. Ist es die reale Person, die er, sie behauptet, zu sein? Es setzt sich fort mit dem Bezug des Reporters zum Berichteten. Waren er oder sie tatsächlich zur Zeit des berichteten Geschehens am geografischen Ort des Geschehens oder in der Nähe? Stammt das Bild-/ Videomaterial vom Ort des Geschehens oder wurde es aus anderen Quellen übernommen und der Reportage nur „untergeschoben“?

Die Identitätsfeststellung einer Person bieten die Web3 Protokolle geeignete Verfahren an. Ein Reporter führt in seiner Tätigkeit aber eine Rolle aus, die der zusätzlichen Authentifizierung [10] dieser Reportereigenschaft durch eine zweite Stelle bedarf. Diese Authentifizierung könnten journalistische Organisationen oder auch Verlage übernehmen. Sie gewährleisten nach außen per kryptografischer Absicherung die Authentizität des Berichtenden, ohne dessen Identität in jedem Fall preisgeben zu müssen. Diese Serviceleistung der Authentifizierung eines Reporters wird im Web3 typischerweise eine entgeltliche Leistung sein.

Zur Sicherung der Aspekte einer authentischen Berichterstattung haben wir in [11] im Kontext des Workshops „Digitaler Journalismus“ der Jahrestagung 2017 der Gesellschaft für Informatik ein entsprechendes Reportagewerkzeug vorgeschlagen. Fairerweise muss man sagen, noch ohne Absicherung der erstellten Reportagen durch die Blockchain und Reporterentlohnung per Kryptowährung. Das dort propagierte „Nachrichtennetzwerk“ setzt die Bewertung, Ranking der Richtigkeit und Gewichtung der Reportagen durch die Nutzer des Netzwerks offensiv ein. Dieses Nutzer Feedback bestimmt auch die Reichweite der Reportagen und letztlich die Entlohnung des/der berichtenden Reporter. Dies wäre wiederum ein typisches Web3 Element. Ein [11] entsprechendes, um eine Blockchain ergänztes, zertifiziertes Reportagewerkzeug müsste durch journalistische Organisationen, könnte aber auch durch Verlage bereitgestellt werden. Dabei kann automatisiert – mit KI Verfahren – eine Vorabüberprüfung einer zu verbreitenden Reportage gegen Hate Speech gleich im Reportagewerkzeug durchgeführt werden.

Als besonders Qualitätsmerkmal könnte ein Berichtender bestimmen, seine Reportage besonderer Relevanz durch einen Verlag (oder einen Servicedienstleister wie den Faktencheck des Correktiv Recherchezentrums [12] ) unabhängig nach dem „Vier-Augen-Prinzip“ vor weiterer Verbreitung entgeltlich verifizieren zu lassen. Zu den Prüfungsmöglichkeiten gehört insbesondere auch, die Authentizität von Interviewpartnern zu verifizieren („Deep Fake“ [13] Analyse). Leider bietet KI zunehmende Möglichkeiten, solche visuell und akustisch manipulierten Interviewpartner immer perfekter zu gestalten.

Der Schutz einer verbreiteten Reportage gegen Inhaltsverfälschung und die Nutzung des Inhaltes gemäß der vom Berichtenden bestimmten Regularien ist eine der originären Stärken der Blockchain basierten Web3 Technologie. In der Blockchain ist auch festgelegt, ob die Reportage kostenlos oder nur entgeltlich genutzt werden kann.

Ausblick

J.M. Koponen empfiehlt in seinem TechCrunch Beitrag [14] Verlagen, schon jetzt a) eine Befassung mit dem Inhaltserstellungsprozess im Web 3 und b) einen strategischen, längerfristigen Blick auf die Vermarktungsmöglichkeiten jenseits Abos und Anzeigen, etwa ein wirkungsbasiertes Pricing von Artikeln. Er beklagt dabei eine zu enge Fokussierung der Verlage auf die naheliegenden Möglichkeiten und Optimierungen im Web 2.0. Dies sind aktuell etwa Podcasts, ein Video basiertes Storytelling und der Einsatz von KI zur Steigerung der Produktionseffizienz in der automatisierten Erstellung personalisierter Empfehlungen. Diese Einschätzung wird durch den Jahresbericht 2022 von N. Newman im Kontext des „Digital News Project“ des Reuters Institute der Universität Oxford [15] gestützt. Hier wird insbesondere die Entwicklung der anglo-amerikanischen Medien langjährig verfolgt.

Es wird aber gerade die Strahlkraft komplett neuer Angebote auf die Nutzer im Web3 sein, um der Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Heute ringen die Verlage und Journalisten weltweit nicht gerade auf Augenhöhe mit den großen Web 2.0 Plattformen wie Google um eine angemessene Vergütung ihrer dort verwerteten Inhalte. Die Web3 Technologie bietet die Chance, die Inhaltsqualität, -vermarktung und -vergütung grundlegend zu ändern. Gerade für Verlage und den Journalismus. Dass Verlage und Journalismus nicht gerade der Treiber von Internet Innovationen sind, ist leider eine Realität. Als „vierte Gewalt“ in den demokratischen Gesellschaften dieser Welt bietet sich hier aktuell die Change, proaktiv und auf Augenhöhe einen Dialog mit den führenden technologischen Innovatoren des Internets zu suchen, um die journalistischen Belange in die Vision „Web3“ rechtzeitig mit einzubringen. Davon können und werden nicht nur der Journalismus weltweit, sondern alle Bürger profitieren.

Referenzen

[1] Web3 – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Web3, abgerufen am 04.08.2022

[2] Blockchain – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Blockchain, abgerufen am 04.08.2022

[3] K.Roose “The Latecomer’s Guide to Crypto / What is web3?”, New York Times vom 18.3.2022, Link: https://www.nytimes.com/interactive/2022/03/18/technology/web3-definition-internet.html

[4] Etherium – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Ethereum, abgerufen am 04.08.2022

[5] Semantic Web – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Semantic_Web, abgerufen am 04.08.2022

[6] R. Augstein, Editorial DER SPIEGEL Nr. 16/1961 vom 11.04.1961,  https://www.spiegel.de/politik/lieber-spiegel-leser-a-0bc8285c-0002-0001-0000-000043160735?context=issue

[7] R. Augstein, „Sagen, was ist“ Leitartikel DER SPIEGEL Nr. 47/1989 vom 19.11.1989,  https://www.spiegel.de/politik/sagen-was-ist-a-25a54036-0002-0001-0000-000013497809?context=issue

[8] J. Augstein, „Sagen, was sein soll“, Spiegel Online  vom 17.09.2019,  https://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-sagen-was-sein-soll-a-1287145.html

[9] G. Edelman, ”The father of Web3 Wants You to Trust Less”, WIRED vom 28.11.20021, Link: https://www.wired.com/story/web3-gavin-wood-interview/

[10] Authentifizierung – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Authentifizierung, abgerufen am 04.08.2022

[11] R.Lutze, M. Strzodka, „Authentische Berichterstattung in einem journalistischen Mitmach-Medium“, in: M. Eibl, M. Gaedtke (Hrsg.) Informatik 2017, Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2017, pp. 1823-1834, DOI: 10.18420/in2017_181

[12] „Fakten für die Demokratie“, Link: https://correctiv.org/faktencheck/  

[13]Deep Fake – Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Deepfake, abgerufen am 01.08.2022

[14] J. M. Koponen, „Um den unabhängigen Journalismus zu retten, müssen die Medien die Web3-Innovation annehmen“, TechCrunch vom 8.2.2022, Link: https://hitechglitz.com/german/um-den-unabhangigen-journalismus-zu-retten-mussen-die-medien-die-web3-innovation-annehmen-techcrunch/

[15] N.Newman, “DIGITAL NEWS PROJECT – Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2022”, Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford, Januar 2022, Link: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/sites/default/files/2022-01/Newman%20-%20Trends%20and%20Predictions%202022%20FINAL.pdf

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Ein Bild unseres Blog Autors Rainer Lutze

Rainer Lutze

Rainer Lutze ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting. Das Unternehmen berät seit seiner Gründung im Jahr 2000 Unternehmen und Organisationen im Bereich der digitalen Medien und der digitalen Gesundheit und Pflege (eHealth). Aktuelle Schwerpunkte sind Smartwatches und ein intelligente Zuhause, das ein gesundes, sicheres und selbstbestimmtes Leben im vertrauten Zuhause bis ins hohe Alter und auch in Gegenwart alterstypischer Beschwerden und Einschränkungen ermöglicht.

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