Die mobile Zukunft des Anzeigenblattes sichert das Bestehen in der Brandung des Medienwandels

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Die mobile Zukunft des Anzeigenblattes : Der Schlüssel zur digitalen Transformation

Am Beispiel der gedruckten Kataloge, einem jahrzehntelangen Erfolgsgarant im Versandhandel,  beleuchten wir die mobile Zukunft des Anzeigenblattes und den Weg der notwendigen digitalen Transformation. Aber auch das Menetekel eines analogen „Weitermachen wie bisher“.

Beispiel Versandhandel

Anfang Februar 2016 stellte der Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group in Hamburg seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2015/2016 vor [1]. Dabei betonte der stellv. Vorstandsvorsitzende Dr. Rainer Hillebrand, dass Otto dabei sei, sich zu einer mobil getriebenen Unternehmensgruppe zu entwickeln, für die das Smartphone das zentrale Tool für den Zugang zu den Kunden sei. Für die weltweite Nummer zwei im elektronischen Handel nach Amazon betonte er die tiefgreifenden Auswirkungen auf die Otto Group durch die Digitale Transformation. Große Tochtergesellschaften der Gruppe erwirtschaften mittlerweile schon 90 Prozent ihrer Umsätze online, 50% der Besuche in den großen Online Shops der Gruppe erfolgen dabei über mobile Geräte. „Der Kunde ist König und sein Zepter ist das Smartphone“ lässt sich Otto Multichannel Konzernvorstand Alexander Birken auf der eCommerce Website des Unternehmens zitieren.  Ein spektakulärer Wandel für eine Branche, in dem das Dreigestirn Neckermann, Otto, Quelle mit ihren dickleibigen Printkatalogen jahrzehntelang der Maßstab des Erfolgs im Versandhandel war. Geschichte und Ende von Neckermann und Quelle, bei denen Kraft und Wille zur systematischen Digitalisierung und eCommerce im Internet fehlte, sind bekannt. Was lehrt uns dies für die deutsche Zeitungsbranche?

Notwendigkeit der digitalen Transformation

Viele Verlage sehen Ihre analogen Anzeigenblätter und Gratiszeitungen als solide Erlösquelle und unerschütterlichen Fels in der Brandung des Medienwandels. Sie übersehen jedoch offenbar, dass:

  • nicht nur für die Tageszeitungen, sondern auch für die Anzeigenblätter und Gratiszeitungen die Erreichbarkeit jüngerer Zielgruppen ständig abnimmt,
  • die Möglichkeiten, vermittels der Printprodukte Kenntnis über die Kunden, Leser,  und ihre Präferenzen zu gewinnen und zu nutzen,  verschwindend gering sind gegenüber digitalen Medien. Wie führte der Chef der Otto Group Media anlässlich der o.a. Vorstellung der Ziele für das laufende Geschäftsjahr aus: „Wir kennen die Hälfte aller deutschen Frauen, weil sie bei uns einkaufen.“ Mit diesen Daten können die Frauen sehr viel zielgerichteter angesprochen und Streuverluste in der Produktbewerbung vermieden werden. Bild-Herausgeber Kai Diekmann meinte dazu in einem Vortrag bei der International Advertising Association im September 2014 in Wien [2]: „Daten sind das neue Öl“, mit denen in Echtzeit die Wünsche der Nutzer eines digitalen Mediums – wie nie zuvor möglich – nicht nur erahnt, sondern vorhergesagt werden können.

Weg der digitalen Transformation

Die Axel Springer AG bezeichnet sich etwa bei ihrer Bilanzpressekonferenz zum Geschäftsjahr 2015 mittlerweile als „Digitalverlag“ und vermeldet einen Umsatzanteil von 62% für die digitalen Aktivitäten am Gesamtumsatz von ca. 3,3 Mrd. € sowie einen Beitrag dieser Digitalaktivitäten von 70% am Konzern EBITDA [3]. Schwerpunkt für 2016 sei  weiter die beschleunigte Expansion der digitalen Geschäftsmodelle. 

Die sieben wegweisenden Elemente der digitalen Transformation des Anzeigenblattes in eine mobile Zukunft sind:

  1. Das Anzeigenblatt der Zukunft ist eine Smartphone App, die kommerzielle Vollformatanzeigen und relevante journalistische Inhalte miteinander kombiniert. Der zur Publicis Gruppe gehörende Marktforscher ZenithOptimedia sieht für 2016 erstmals mehr Ausgaben für mobile Internetwerbung ( 12,4% aller Werbeausgaben) denn für Zeitungswerbung (11,9% der Werbeausgaben), bei einer jährlichen Steigerungsrate von 38% für mobile Werbung gegenüber einer Schwundquote von 4% für Zeitungswerbung. [4].
  2. Die journalistischen Inhalte der App reflektieren das lokale und regionale Selbstverständnis (»Lebensgefühl«) der Nutzer und bieten eine Inhaltsbreite und -tiefe, die den lokalen und regionalen Interessen der Nutzer entspricht und ihre Lebenswelt abbildet. [ Die verbreitete Übernahme von (kostenlosen) „Blaulichtmeldungen“ lokaler Behörden und/oder überregionaler Meldungen weit entfernter Mantelredaktionen / Nachrichtenagenturen reicht dazu sicherlich nicht! ]
  3. Eine kosteneffiziente und flächendeckende Contentgenerierung kann durch den qualitätsgesicherten Einbezug von Leserreportern erreicht werden. Nur Augenzeugen eines Ereignisses können auch Leserreporter für die App sein, eine Korrektur von unvollständigen oder einseitigen Leserberichten ist durch weitere Augenzeugen des Ereignisses möglich [5]. Eine systematische Bewertung des durch die Nutzer generierten Contents kann durch die Gesamtheit aller Nutzer der App vorgenommen werden. Die Nutzer werden im Dialog auf Augenhöhe in die gesellschaftliche Kommunikation eingebunden.
  4. Alle Anzeigen in der App sind Vollformat-Anzeigen und hinsichtlich der Geschäftslokale geocodiert und mit präzisen Öffnungszeiten versehen. Gleiches gilt natürlich auch für die Veranstaltungsangebote. Damit kann die App auf verfügbare Angebote in der Nähe des aktuellen Standortes des Nutzers hinweisen. Hat er seine Interessen in der App bekannt gemacht, erfolgt eine proaktive Bewerbung von Angeboten durch das Smartphone natürlich nur gemäß diesem Interessensprofil.
  5. Über das Grundangebot von Anzeigenformaten kann sich ein Interessent über die App selbst informieren und dort Anzeigen selbst buchen, bezahlen und gestalten. Eine Änderung, Aktualisierung des Insertionsinhaltes während des Schaltzeitraums ist durch den Anzeigenkunden jederzeit möglich.
  6. Die Nutzung aller journalistischen und kommerziellen Inhalte wird über die App anonymisiert erfasst und systematisch ausgewertet. Dabei werden mindestens Dauer, Tageszeit und Ort der Nutzung berücksichtigt. Der Anzeigenkunde kann für seine Schaltung zunächst entnehmen: wann, wo, wie häufig und wie lange seine Anzeige genutzt wurde. Aber auch weitergehende Analysen sind möglich: wie werbewirksam ist die Anzeige, wie ist die erzielte  Kundenbindung durch die Anzeige?  Dazu wird die durchschnittliche Latenzzeit zwischen der Konsumierung einer Anzeige in der App und einem (möglichen) Besuch des beworbenen Geschäftslokals / Veranstaltungsortes danach ausgewertet. Oder es werden die wiederholten Aufenthalte eines App Nutzers in einem beworbenen Geschäftslokal / Veranstaltungsort und einem definierten Zeitraum identifiziert, um ihn als Stammkunden über die App entsprechende Vergünstigungen beim Einkauf anbieten zu können. Diese Business Intelligence (BI) Services geben den Anzeigenkunden völlig neue, wirkungsmächtige Auswertungsmöglichkeiten des mobilen Anzeigenblattes an die Hand, um den Bewerbungs- und Verkaufsprozess für die jeweiligen Produkte und Dienstleistungen zu optimieren.
  7. Alle Verlagskunden – sowohl bestehende Kunden der Printprodukte wie durch die App neu gewonnene Interessenten – werden in ein zeitgemäßes Customer Relation Management (CRM) System eingebunden und über entsprechende Marketingaktionen für das digitale Medium regelmäßig adressiert. Die Business Intelligence Analysen ermitteln laufend den auf Content, Branchen, Nutzersegmente sowie auf Nutzungszeit und -geografie bezogenen Werbeerfolg der App. Diese Informationen werden zur Akquisition und Bindung von Anzeigenkunden des Verlags verkaufsfördernd im CRM System verwendet.

Das Ergebnis: Die mobile Zukunft des Anzeigenblattes

Mit der Realisierung der oben genannten sieben Kernelemente sind letztlich  folgende, wesentlichen Ziele erreicht:

  • Den gedruckten Anzeigenblättern / Gratiszeitungen eines Verlages wird evolutionär ein digitales Medium zur Seite gestellt. Da im Kern altersspezifisch unterschiedliche Nutzergruppen angesprochen werden, sind kaum Kannibalisierungseffekte zu erwarten. Gemäß statistischem Bundesamt waren Q1/2015 im Mittel 70% alle Internet Nutzer auch mobil im Netz, mit einer Spreizung von 92% bei den 16-24 Jährigem bis 39% bei den 65-Jährigen und Älteren [6],[7]. Und bestätigend für die Verlage: die Information über Waren und Dienstleistungen ist für alle Altersgruppen mit mehr als 85% eine der Hauptgründe für die private Nutzung des Internets.
  • Das digitale Medium ist unabhängig von einer bestehenden Verteil- und Zustellerlogistik sowie der Entwicklung der Personalkosten in diesem Sektor (Stichwort: €8,50 Mindestlohn für ausschließlich als Zeitungszusteller Tätige ab 2017, einheitlicher Mindestlohn ab 2018). Es liefert eine Resonanz über seine Nutzung in Realzeit.
  • Redaktion, Anzeigenkunden und Anzeigenvertrieb des Verlages steht ein zeitgemäßes Auswertungs- und Steuerungsinstrumentarium zur Verfügung, um in Realzeit auf aktuelle Entwicklungen einzugehen. Für die Redaktion liefern die Leserbeiträge und -bewertungen ein Themenradar, was die Leser bewegt und wo schwerpunktmäßig vertiefende journalistische Investigativbeiträge und Moderation gefordert sind.  Für den Anzeigenvertrieb des Verlages erlauben die laufenden Business Intelligence Analysen des Werbeerfolgs des Mediums  maßgeschneiderte Angebote an Werbetreibende zu den Verlagsprodukten.  Für den Anzeigenkunden ermöglichen die Realzeitauswertung seiner Insertionen eine Aktualisierung / Optimierung der Angebotspalette gemäß dynamisch wechselnden Kundenpräferenzen.

Chancen der digitalen Transformation heute

Der (noch vorhandene) öffentliche Einfluss der Regionalverlage kann über ihre Printmedien und eventuelle Radiobeteiligungen unterstützend genutzt werden, um die neue App im lokalen Umfeld zu positionieren und bekannt zu machen.


Zusammengefasst stützt sich die mobile Zukunft des Anzeigenblattes auf die Kernpunkte:

  • Smartphones als das favorisierte multimediale Gerät,
  • Reflektion der Lebenswelt und des Lebensgefühls der Leser als  klassische Stärke des Lokal-/Regionaljournalismus,
  • Dialog mit Lesern und Anzeigenkunden auf Augenhöhe und Möglichkeit der aktiven Teilnahme an der Berichterstattung
  •  Nutzung aller zeitgemäßen Möglichkeiten der »Big Data«-Analyse des digitalen Mediums

Weiterführende Links:

[1] Heise Online am 10.02.2016 – Otto Group rückt das Smartphone ins Zentrum des Konzerns 

[2] Kurier.at am 30.09.2014 – Der einflussreiche Journalist und Online-Guru hält Daten der Leser für „das neue Öl

[3] PM der Axel Springer AG vom 03.03.2016 zur Bilanzpressekonferenz zum Geschäftsjahr 2015

[4] PM ZenithOptimedia vom 14.09.2015 – Mobile Advertising to overtake Newspapers in 2016 

[5] Unser Lösungsbaukasten zur digitalen Medientransformation, das Konzept des Nachrichten-Netzwerks

[6] PM des Statistischen Bundesamtes Nr. 466/15 vom 16.12.2015 – Fast jede zweite Person ab 65 Jahre nutzt das Internet

[7] Fachserie 15 Reihe 4 des Statistischen Bundesamtes vom 16.01.2016 – Private Haushalte in der Informationsgesellschaft – Nutzung von IKT

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Ein Bild unseres Blog Autors Rainer Lutze und Michael Strzodka

Rainer Lutze und Michael Strzodka

Rainer Lutze ist Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung Dr.-Ing. Rainer Lutze Consulting, die Verlage im Bereich der digitalen Medien berät. Michael Strzodka ist selbständiger Journalist und Zeitungsredakteur mit 30-jähriger Berufserfahrung, zuletzt als CvD und Mitglied der Chefredaktion der „Westfälischen Rundschau“ in Dortmund. Rainer Lutze und Michael Strzodka berichten hier regelmäßig über relevante Tendenzen und Entwicklungen zur Zukunft des Journalismus.

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